Arbeitszeitgestaltung, Beschäftigtendatenschutz, Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung und betriebliches Eingliederungsmanagement. Der Krankenstand ist in vielen Unternehmen und Verwaltungen ein wichtiges Thema. Die Kennziffer bezeichnet, wie viele Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Arbeit kommen können. Bundesweite Angaben zur Entwicklung von Krankenständen werden vom Bundesgesundheitsministerium errechnet. Sie veröffentlichen den Krankenstand für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kassen melden monatlich, wie viele Pflichtversicherte am ersten Tag des Monats wegen einer Erkrankung arbeitsunfähig gemeldet waren. Daraus ergibt sich der Anteil der krankgeschriebenen Beschäftigten. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Krankenstand in Deutschland kontinuierlich gesunken, steigt jetzt jedoch wieder an. Im Durchschnitt fehlten im Jahr 2010 3,68 Prozent der Beschäftigten aufgrund einer Erkrankung, wie aus Zahlen hervorgeht, die das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte. 2009 lag der Anteil bei 3,40 Prozent. Eine zuverlässige Analyse der Gründe des gestiegenen Krankenstands ist schwierig. Denn neben dem durchschnittlichen Alter der Beschäftigten und der Art der Erkrankungen können auch viele andere Faktoren eine Rolle spielen. Nach Erhebungen des DGB geht ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer zumindest ab und zu krank zur Arbeit. Hintergrund ist oft die Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Auch das Gesundheitsbewusstsein und der Leistungskatalog der Krankenversicherung wirken sich nach Meinung von Experten darauf aus, wie oft Arbeitnehmer sich krankschreiben lassen. Wie gehen nun Unternehmen und Verwaltungen mit krankheitsbedingten Fehlzeiten um? Einige Unternehmen versuchen mittels finanzieller Anreizsysteme den Krankenstand zu verringern, viele führen so genannte Fehlzeiten- oder Krankenrückkehrgespräche. Man kann davon ausgehen, dass das Betriebsklima und das vorhandene Vertrauen eine erhebliche Rolle spielen, ob Maßnahmen dieser Art erfolgreich im Sinne der Gesundheit von Beschäftigten und der Produktivität sind oder ob sie eher zusätzlichen Druck ausüben. Andere Unternehmen entwickeln umfassende Systeme zum Gesundheitsmanagement und zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Diese Möglichkeiten vor- und nachsorgend krankheitsbedingte Fehlzeiten zu reduzieren, werden in dieser Kurzauswertung nicht, aber in anderen Analysen ausführlich betrachtet. Wer nach krankheitsbedingter Abwesenheit an den Arbeitsplatz zurückkehrt, muss sich in vielen Betrieben einem formalisierten Krankenrückkehrgespräch mit dem Vorgesetzten stellen. Die vorliegende Auswertung analysiert Betriebsvereinbarungen zu diesem Thema und zum ganzheitlichen betrieblichen Fehlzeitenmanagement. Sie zeigt, dass diese personalpolitischen Instrumente offensichtlich zahlreiche rechtliche und betriebspolitische Probleme und Widersprüche aufwerfen. Viele der analysierten Regelungen laufen inzwischen wichtigen aktuellen Trends in Unternehmen und Gesellschaft zuwider. Hierzu zählen u. a. der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel, der seit Jahren sinkende Krankenstand in Betrieben und Behörden, der gestärkte Stellenwert des Beschäftigtendatenschutzes, die durch das Bundesarbeitsgericht geforderte Berücksichtigung der Mindestanforderungen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) und nicht zuletzt die seit Jahren steigenden physischen und psychischen Belastungen und Beanspruchungen der Beschäftigten. Um insgesamt eine nachhaltige betriebliche Gesundheitspolitik betreiben zu können, sollten die Betriebsparteien dringend die Gefahren des Präsentismus, des krank zur Arbeit Gehens, zur Kenntnis nehmen. Die vorliegenden Betriebsvereinbarungen, auch die aktuellen, vernachlässigen das Phänomen des Präsentismus ausnahmslos. Zudem werden die Anforderungen des Beschäftigtendatenschutzes bei der Ausgestaltung der Krankenrückkehrgespräche in den Vereinbarungen meist nicht angemessen umgesetzt. Die neuen Ansätze in Richtung einer kontinuierlichen Verbesserung des Arbeitsschutzes, die sich im Arbeitsschutzgesetz von 1996 konkretisieren, werden nicht berücksichtigt. Der Stellenwert der Gefährdungsbeurteilung als Evaluationsinstrument wird fast durchgehend verkannt. In einigen aktuellen Betriebsvereinbarungen werden Krankenrückkehrgespräche zudem als Mittel zur Umsetzung des BEM aufgefasst. Dies verstößt jedoch sowohl gegen die Anforderungen des § 84 Abs. 2 SGB IX als auch gegen die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes BEM, wie sie aktuell vom Bundesarbeitsgericht formuliert wurden. In den vorliegenden Betriebsvereinbarungen überwiegen die gestuften Krankenrückkehrgespräche, deren Disziplinierungsfunktion offen zu Tage tritt. Die fürsorglichen Krankenrückkehrgespräche, die eher frei von Disziplinierung und Kontrolle gestaltet und als tatsächliche Gesundheitsgespräche gewertet werden können, wurden in den zugrundeliegen
den Vereinbarungen nicht umgesetzt. Fast alle Betriebsvereinbarungen dokumentieren gleichzeitig, dass Krankenrückkehrgespräche in der Regel mit weiteren flankierenden Maßnahmen des Fehlzeitenmanagements verknüpft werden. Die Untersuchung zeigt, dass viele bekannte Instrumente des betrieblichen Fehlzeitenmanagements sich auch in den vorliegenden Vereinbarungen zusätzlich zu den Krankenrückkehrgesprächen nachweisen lassen und vorrangig der Kontrolle dienen. Die Krankenrückkehrgespräche in ihren verschiedenen Ausgestaltungen, wie sie sich in den zu Grunde liegenden Betriebsvereinbarungen darstellen, können zu Misstrauen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern führen. Sie verbessern das Betriebsklima und die Führungskultur nicht nachhaltig, sondern erzeugen Misstrauen und Ängste. Führungskräfte sind durch das System der formalisierten Krankenrückkehrgespräche oftmals überfordert. Die vorliegenden Betriebsvereinbarungen entwickeln hierfür und für krank machendes Vorgesetztenverhalten als eine Ursache für Arbeitsunfähigkeitszeiten kein Gespür. Den Interessenvertretungen bleiben jedoch zahlreiche Handlungsmöglichkeiten, um Krankenrückkehrgespräche u. a. zu blockieren, abzuschaffen oder auch in Richtung von Gesundheitsgesprächen umzugestalten. Zudem können Betriebs- und Personalräte viele rechtliche Ansatzpunkte bei der Einführung und Anwendung von Krankenrückkehrgesprächen und anderen Instrumenten des Fehlzeitenmanagements nutzen. APB Arbeitsplatz-Problem-Beschreibung ASiG Arbeitssicherheitsgesetz AU Arbeitsunfähigkeit AVP Abwesenheitsverbesserungsprozess BEM Betriebliches Eingliederungsmanagement EntgeltfortzahlungsG Entgeltfortzahlungsgesetz ERA Entgeltrahmenabkommen MDK Medizinischer Dienst der Krankenkassen Anfang der 90er Jahre wurde Fehlzeitenmanagement in Betrieben und Verwaltungen verstärkt eingeführt. Die Fehlzeitenproblematik entwickelte sich in Deutschland im Rahmen der Globalisierungs- und Standortdebatte zu einem Top-Managementthema. Arbeitgeber beklagten den angeblich zu hohen Krankenstand in Deutschland. Zeitschriften wie der Spiegel lösten wiederholt Diskussionen über ''Blaumacher'' aus. Managementberater verkauften stark nachgefragte Programme zur Senkung von Abwesenheitszeiten. Opel führte einen Anwesenheitsverbesserungsprozess (AVP) ein, der wesentlich aus Krankenrückkehrgesprächen bestand. Er wurde Vorbild für viele Einführungen von Rückkehrgesprächen in der Automobil- und Zuliefererindustrie, in der Chemiebranche, im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst. (Spies/Beigel 1997, Fischer/Kiesche 1997). Gewerkschaften benötigten zunächst Zeit, eine klare Position zu den Krankenrückkehrgesprächen zu beziehen. Krankenrückkehrgespräche wurden schnell und verbreitet eingeführt, zunächst vor allem in Großunternehmen. Es handelt sich um Gespräche mit Beschäftigten nach einer Krankheit bzw. nach einer Fehlzeit. Sie werden von den unmittelbaren Vorgesetzten geführt. In der Praxis tragen die Gespräche unterschiedliche Bezeichnungen, u. a. fürsorgliches oder vorsorgliches Rückkehrgespräch, Fehlzeitengespräch, Präventionsgespräch, Willkommensgespräch, Reintegrationsgespräch, Personalgespräch oder arbeitsplatzorientiertes Fehlzeitengespräch im Gesundheitsschutz. Die Bezeichnungen können je nach Zielsetzung und Ausgestaltung der Gespräche differenziert gewählt werden, wie in den vorliegenden Betriebsvereinbarungen deutlich wird