Scheinselbständigkeit
Im Allgemeinen versteht man unter dem Begriff Scheinselbständigkeit das Auftreten als Selbständiger,
obwohl der Betroffene im Sinne der Sozialversicherung als abhängig beschäftigt anzusehen ist.
Entscheidend ist, wie sich die Tätigkeit unter Berücksichtigung von sämtlichen gegebenen Umständen im Einzelfall darstellt.
Abhängig Beschäftigte werden als sozial schutzbedürftig angesehen
und unterliegen somit dem Schutz der Sozialversicherungen.
Daher besteht für sie Beitragspflicht in den Sozialversicherungen (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung).
Selbständigen wird dagegen die Absicherung dieser Risiken grundsätzlich selbst überlassen,
so dass keine Beitragspflicht für sie besteht.
Stellt sich eine Selbständigkeit als Scheinselbständigkeit heraus, können Nachzahlungen fällig werden.
Der Begriff des Beschäftigten im Sinne der Sozialversicherung unterscheidet sich vom Begriff des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht.
Die arbeitsrechtliche Einstufung als Arbeitnehmer oder Selbständiger
muss nicht notwendigerweise mit der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung übereinstimmen.
Auch die steuerrechtliche Bewertung ist eine eigene.
Es gilt: Wie die Finanzbehörden das Vertragsverhältnis beurteilen, spielt für die Sozialversicherung grundsätzlich keine Rolle.
Indizien für eine Scheinselbständigkeit
Eine Scheinselbständigkeit kann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer zwar mit einem Werkvertrag
nach außen als selbständiger Unternehmer agiert, bei der Erledigung seiner Aufgaben
aber vollkommen weisungsgebunden und in die Organisation des Arbeitgebers eingebunden ist.
Folgende Kriterien können unter anderem als Anhaltspunkte
für das Vorliegen einer Scheinselbständigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn sprechen:
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Feste Arbeitszeiten wie zum Beispiel bei Schichtdienst.
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Eine feste Integration in Prozesse oder die Infrastruktur des Auftraggebers.
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Arbeit in den Räumen des Auftraggebers.
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Unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers bei der Erfüllung seiner Aufgaben.
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Keine Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers durch den ''Selbständigen''.
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Reporting-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber.
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Feste Bezüge.
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Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
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Urlaubsanspruch, Absprache von Urlaubszeiten mit anderen Arbeitnehmern.
Die Liste ist nicht abschließend, denn für die Abgrenzung müssen alle Umstände des Einzelfalls betrachtet werden.
Das Gesamtbild ist entscheidend. Selbstverständlich ist es denkbar,
dass einige Indizien für eine abhängige Beschäftigung sprechen, aber dennoch die Indizien für eine Selbständigkeit überwiegen.
Indizien für eine Selbständigkeit
Folgende Anhaltspunkte sprechen für eine selbständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn:
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Eigener Unternehmensauftritt nach außen (Werbung).
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Es wird nicht über einen längeren Zeitraum nur für einen Auftraggeber gearbeitet.
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Lediglich ein geringes Maß an Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber.
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Keine oder eine nur geringe Einbindung in die interne Organisation des Auftraggebers
(z.B.keine oder nicht regelmäßige Teilnahme an Meetings und internen Briefings).
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Ort und Zeitplanung sind dem Selbständigen überlassen.
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Der Selbständige arbeitet in einer eigenen Betriebsstätte.
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Im Zusammenhang mit der Ausübung der Tätigkeit wird ein eigener Angestellter beschäftigt.
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Eigenes Kapital und die eigene Arbeitskraft werden unter Risiko eines Verlusts eingesetzt.
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Eine Vergütung, die weit über dem für sozialversicherungspflichtige Angestellte Üblichen liegt.
Häufig wird auch dazu geraten, zur Vermeidung einer Scheinselbständigkeit als Kapitalgesellschaft, etwa als GmbH zu agieren.
Dabei ist aber zu beachten, dass eine Leistungserbringung als GmbH nicht in jedem Fall
einer Einstufung als Scheinselbständiger entgegensteht. Auch bei der Rechtsform handelt es sich lediglich um ein Indiz.
Insbesondere bei einer Ein-Mann-GmbH ist es durchaus denkbar, dass bei ausgeprägter Weisungsabhängigkeit
und Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers dennoch eine abhängige Beschäftigung bejaht wird.
Statusfeststellungsverfahren
Ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, können Auftragnehmer oder Auftraggeber
oder beide gemeinsam gemäß § 7a SGB IV schriftlich bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
im sogenannten Anfrageverfahren (auch: Statusfeststellungsverfahren) in Erfahrung bringen.
Zu beachten ist, dass sich die Feststellung immer nur auf ein Vertragsverhältnis bezieht.
Gibt es mehrere Auftraggeber, so ist jedes Vertragsverhältnis einzeln einzuordnen.
Es ist denkbar, dass sich aufgrund der konkreten Ausgestaltung ein Vertragsverhältnis als selbständige Tätigkeit erweist,
während ein anderes Vertragsverhältnis derselben Person
als abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen ist.
Antragsformulare können unter www.deutsche-rentenversicherung.de heruntergeladen werden.
Wenn ein Statusfeststellungsverfahren in Erwägung gezogen wird,
ist die Hinzuziehung eines kompetenten Rechtsanwalts empfehlenswert.
Denn bereits im Antragsformular werden nicht nur tatsächliche Umstände,
sondern in vielen Punkten auch rechtliche Wertungen abgefragt.
Wenn in diesem Verfahren ein Beschäftigungsverhältnis festgestellt wird, besteht Sozialversicherungspflicht.
Die Versicherungspflicht besteht grundsätzlich rückwirkend ab dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis.
Falls der Antrag bereits innerhalb des ersten Monats nach Aufnahme der Beschäftigung gestellt wurde,
tritt die Versicherungspflicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung in Kraft,
wenn der Beschäftigte zustimmt und im Zeitraum zwischen Beginn der Beschäftigung
und der Entscheidung eine Absicherung zur Altersvorsorge und eine Krankenversicherung bestand.
Rechtsmittel gegen einen Statusfeststellungsbescheid
Gegen einen aus Sicht des Betroffenen unzutreffenden Statusfeststellungsbescheid kann Widerspruch erhoben werden.
Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, besteht die Möglichkeit der Klage zum Sozialgericht.
Widerspruch und Klage sind auch im Wege der Selbstvertretung, also ohne anwaltliche Unterstützung möglich.
Rentenversicherungspflicht trotz Selbständigkeit
Nach § 2 SGB VI kann trotz Selbständigkeit die Pflicht zur Zahlung in die Rentenversicherung bestehen.
Zur Zahlung verpflichtet sind beispielsweise Personen, die regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigen
und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (''arbeitnehmerähnliche Selbständige'').
In die Handwerksrolle eingetragene Gewerbetreibende sind ebenfalls rentenversicherungspflichtig,
Handwerksbetriebe und Betriebsfortführungen nach § 4 der Handwerksordnung bleiben jedoch außen vor.
Die Beiträge müssen die betroffenen Selbständigen komplett selbst zahlen.
Allerdings existieren auch Befreiungsmöglichkeiten.
Befreiung von Rentenversicherungspflicht trotz Selbständigkeit
Die Befreiung können sogenannte ''arbeitnehmerähnliche Selbständige'' beantragen,
die regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer nur für einen Auftraggeber tätig sind.
Die Befreiung ist grundsätzlich in den ersten drei Jahren nach Gründung der unternehmerischen Existenz möglich.
Zudem kommt die Befreiung in Betracht, wenn bei bereits zuvor ausgeführter selbständiger Tätigkeit
und dem erstmaligen Vorliegen der Versicherungspflicht das 58. Lebensjahr vollendet ist.
Folgen der Scheinselbständigkeit für den Auftraggeber
Liegt eine Scheinselbständigkeit vor, d.h. handelt es sich bei dem ''Selbständigen''
bei Bewertung aller Umstände um einen abhängig Beschäftigten, hat dies zur Folge,
dass der Auftraggeber zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtet ist.
Diese Verpflichtung gilt auch rückwirkend bis zur Grenze der Verjährung.
Die Verjährung tritt mit Ablauf von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres ein, in dem die Beiträge fällig geworden sind.
Bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre.
Zudem kommt eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB in Betracht.
Die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn führt aber nicht automatisch dazu,
dass auch das Finanzamt von einer Arbeitnehmereigenschaft ausgeht.
Falls dies so sein sollte, hätte der Scheinselbständige zu Unrecht Umsatzsteuer ausgewiesen, was rückabzuwickeln wäre.
Auch Lohnsteuernachforderungen sind in diesem Fall denkbar.
Allerdings schulden auch Selbständige Einkommenssteuer, so dass hier häufig keine hohen Nachforderungen entstehen.
Folgen der Scheinselbständigkeit für den Auftragnehmer
Auf den Nachweis der Scheinselbständigkeit folgt die nachträgliche Änderung des Beschäftigungsverhältnisses.
Der Auftragnehmer erhält den Status eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.
Für nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge haftet der Auftragnehmer maximal drei Monate rückwirkend.
Der Auftraggeber muss die Zahlungen für den kompletten nachgewiesenen Zeitraum
der Scheinselbständigkeit bis zur Grenze der Verjährung leisten. Bei Vorsatz bis zu 30 Jahre.
Soweit der Beschäftigte auch arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer zu sehen ist, profitiert er von Arbeitnehmersschutzrechten,
wie zum Beispiel Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz.
Ist der Beschäftigte nach dieser Feststellung ausschließlich als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer tätig,
muss er sein Gewerbe abmelden, damit endet auch die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer.
Im Hinblick auf die steuerliche Abwicklung gelten Auftraggeber und Auftragnehmer rechtlich als Gesamtschuldner.
Der Auftragnehmer muss seine ausgestellten Rechnungen korrigieren und ausgewiesene Umsatzsteuern für ungültig erklären.
Eine geleistete Vorsteuer muss an das Finanzamt zurückgezahlt werden.
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